Montag, 20. Juni 2016

Heilung einer fehlerhaften Unterrichtung des Betriebsrats bei Massenentlassung

Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 KSchG muss sich die Unterrichtung des Betriebsrats im Rahmen des Konsultationsverfahrens auch auf die betroffenen Berufsgruppen beziehen. Bei einer beabsichtigten Entlassung aller Arbeitnehmer wegen Stilllegung des Betriebs kann eine unterbliebene Unterrichtung über die Berufsgruppen jedoch durch eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats geheilt werden. Dieser muss zu entnehmen sein, dass der Betriebsrat seinen Beratungsanspruch als erfüllt ansieht.

Die Klägerin war als Produktionsmitarbeiterin beschäftigt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihrer Arbeitgeberin beschloss der beklagte Insolvenzverwalter die Stilllegung des Betriebs und unterrichtete den Betriebsrat über die beabsichtigte Kündigung aller Arbeitnehmer im Rahmen einer Massenentlassung. Dabei teilte er die betroffenen Berufsgruppen nicht mit. Dennoch bestätigte der Betriebsrat in dem am 23. Dezember 2013 abgeschlossenen Interessenausgleich, dass er vollständig unterrichtet worden sei und das Konsultationsverfahren nach abschließender Beratung beendet sei. Nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 27. Dezember 2013 zum 31. März 2014. Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen diese Kündigung. Sie meint, die Kündigung sei wegen fehlerhafter Durchführung des Konsultationsverfahrens unwirksam. Die Angaben bezüglich der Berufsgruppen hätten zwingend erteilt werden müssen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Dabei konnte offen bleiben, ob die fehlende Information über die Berufsgruppen im Falle einer Betriebsstilllegung überhaupt nachteilige Rechtsfolgen für den Arbeitgeber bewirken kann. Die fehlerhafte Unterrichtung ist hier jedenfalls durch die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats im Interessenausgleich geheilt worden.
  
  
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 9. Juni 2016 - 6 AZR 405/15 -

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil vom 29. Juni 2015 - 8 Sa 1534/14 -


Quelle: Pressemitteilungen des BAG 30/16

Kosten der Reinigung von Hygienekleidung in Schlachtbetrieben

n lebensmittelverarbeitenden Betrieben hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass seine Arbeitnehmer saubere und geeignete Hygienekleidung tragen. Zu seinen Pflichten gehört auch die Reinigung dieser Kleidung auf eigene Kosten.

Der Kläger ist im Schlachthof der Beklagten im Bereich der Schlachtung beschäftigt. Die Beklagte stellt dem Kläger für seine Tätigkeit weiße Hygienekleidung zur Verfügung. Für die Reinigung dieser Kleidung zieht sie ihm monatlich 10,23 Euro vom Nettolohn ab.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass diese Abzüge unberechtigt sind, und verlangt für die Monate Januar 2011 bis Februar 2014 wegen der bereits vorgenommenen Abzüge eine Lohnnachzahlung in Höhe von 388,74 Euro netto. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Der Kläger ist nicht verpflichtet, die Kosten der Reinigung der Hygienekleidung zu tragen und diese der Beklagten gemäß § 670 BGB zu erstatten. Die Vorschrift beruht auf dem allgemeinen Grundsatz, dass die Kosten von demjenigen zu tragen sind, in dessen Interesse das Geschäft oder die Handlung vorgenommen wurde. Die Beklagte hat die Reinigungskosten nicht im Interesse des Klägers, sondern im Eigeninteresse aufgewendet. Nach Anhang II Kapitel VIII Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 vom 29. April 2004 über Lebensmittelhygiene und gemäß Nr. 3 Buchst. b der Anlage 2 zu § 5 Abs. 1 Satz 1 der nationalen Lebensmittelhygiene-Verordnung müssen Personen, die in einem Bereich arbeiten, in dem mit Lebensmitteln umgegangen wird, geeignete und saubere Arbeitskleidung tragen. Nach Nr. 5.1 der Anlage 1.1 der AVV Lebensmittelhygiene ist die Arbeitskleidung geeignet, wenn sie hell, leicht waschbar und sauber ist und die persönliche Kleidung vollständig bedeckt.

Der Senat musste nicht entscheiden, ob der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer wirksam vereinbaren kann, dass der Arbeitnehmer die Kosten der Reinigung zu tragen hat. Eine solche Vereinbarung wurde hier weder ausdrücklich noch konkludent getroffen.
  
  
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 14. Juni 2016 - 9 AZR 181/15 -

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil vom 3. Februar 2015 - 11 Sa 1238/14 -


Quelle: Pressemitteilungen des BAG 31/16

Donnerstag, 9. Juni 2016

Mitbestimmung beim betrieblichen Eingliederungsmanagement

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Maßnahmen des Gesundheitsschutzes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erfasst aufgrund der Rahmenvorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nur die Aufstellung von Verfahrensgrundsätzen zur Klärung der Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann.

Die Betriebsparteien streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs. In diesem ist für die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) die Bildung eines Integrationsteams vorgesehen, welches sich aus je einem Vertreter des Arbeitgebers und des Betriebsrats zusammensetzt. Dieses hat das bEM mit dem betroffenen Arbeitnehmer durchzuführen, konkrete Maßnahmen zu beraten und dem Arbeitgeber vorzuschlagen sowie den nachfolgenden Prozess zu begleiten. Mit dem von ihr eingeleiteten Verfahren will der Arbeitgeber die Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle festgestellt wissen.

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen die stattgebende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts blieb vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Die Einigungsstelle hat ihre Zuständigkeit überschritten. Ihr Spruch hat sich nicht auf die Ausgestaltung eines bEM beschränkt, sondern die Beteiligung des Integrationsteams an der allein dem Arbeitgeber obliegenden Umsetzung der Maßnahmen vorgesehen.
  
  
Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 22. März 2016 - 1 ABR 14/14 -

Landesarbeitsgericht Hamburg
Beschluss vom 20. Februar 2014 - 1 TaBV 4/13 -



Quelle: BAG Pressemitteilungen 16/16


Befristungen im Hochschulbereich

Die Befristung eines Arbeitsvertrags kann trotz Vorliegens eines Sachgrunds für die Befristung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam sein. Dies gilt auch für Befristungen im Hochschulbereich, die auf den Sachgrund der Drittmittelfinanzierung nach § 2 Abs. 2 des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) gestützt werden. Für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs können insbesondere eine sehr lange Gesamtdauer des Beschäftigungsverhältnisses und/oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber sprechen. Gegen eine missbräuchliche Ausnutzung der Befristungsmöglichkeit nach § 2 Abs. 2 WissZeitVG sprechen hingegen Beschäftigungszeiten im Hochschulbereich, die der wissenschaftlichen Qualifikation des Mitarbeiters dienen, unabhängig davon, ob diesen Arbeits- oder Beamtenverhältnisse auf Zeit zugrunde liegen.

Die Klägerin war vom 1. September 1989 bis zum 31. Oktober 2011 durchgehend an der Universität Leipzig beschäftigt, zunächst bis Februar 1996 auf der Grundlage von vier befristeten Arbeitsverträgen, die auch dem Abschluss der Promotion und dem Erwerb der Habilitation dienten. Anschließend war die Klägerin in dem Zeitraum vom 1. März 1996 bis zum 24. April 2007 als wissenschaftliche Assistentin im Rahmen eines Beamtenverhältnisses auf Zeit tätig. Danach schlossen sich für die Zeit vom 25. April 2007 bis zum 31. Oktober 2011 zwei auf den Sachgrund der Drittmittelfinanzierung gestützte befristete Arbeitsverträge an. Das Arbeitsgericht hat die Klage, mit der die Klägerin die Unwirksamkeit der zuletzt vereinbarten Befristung zum 31. Oktober 2011 geltend gemacht hatte, abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.

Die Revision des Beklagten hatte vor dem Siebten Senat des Bundearbeitsgerichts Erfolg. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts war die letzte Befristung nicht rechtsmissbräuchlich, da ein erheblicher Zeitraum der befristeten Beschäftigung der wissenschaftlichen Qualifizierung der Klägerin diente. Der Senat konnte den Rechtsstreit allerdings nicht abschließend entscheiden, da aufgrund der bislang getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden kann, ob die Befristung durch den Sachgrund der Drittmittelfinanzierung oder durch einen anderen Sachgrund gerechtfertigt ist. Die Sache wurde deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
  
  
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 8. Juni 2016 - 7 AZR 259/14 -

Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil vom 6. März 2014 - 6 Sa 676/13 -

Quelle: BAG Pressemitteilungen 29/16

Betriebsrätestärkungsgesetz

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat am 21.12.2020 den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Betriebsratswahlen und zur Stär...